
Solothurn und der «Füdlistein»
Ein Gemeinschaftskrimi | Teil 1
Der Krimi | Teil 1
Mittwoch, 26. März 2020
Autorin | Simone Leitner
Solothurn und der «Füdlistein»
«Ich bin ganz sicher, die nächste Sehenswürdigkeit wird Sie erheitern. Mit dieser Steinskulptur drückten die Solothurner einst ihre zuweilen getrübte Sympathie zur südlich gelegenen und mächtigen Stadt Bern aus. Der Stein ist sehr wertvoll und daher hinter einem Eisengitter geschützt», sagt Alma Müller und lacht verschmitzt. Die Stadtführerin erzählt weiter, will ihre Gruppe von fünf Geschäftsfrauen schon mal mit der Solothurner Legende vertraut machen. So schlendern die sechs Damen von der Hauptgasse her zum berühmten «Füdlistein» Richtung Goldgasse. Früher, erklärt die Stadtführerin, hätten die Solothurner ab und an kleine Streitereien mit den Bernern gehabt. «Um diese zu ärgern, stellten sie den Füdlistein beim Berntor auf.» Die Stadtführerin hat die Legende rund um die Skulptur, die aussieht wie ein Hintern, schon unzählige Male erzählt.
Doch auch nach all den vielen Jahren kann sich Alma Müller beim Erzählen der Geschichte ein Grinsen nicht verklemmen. Und gleichzeitig ein Schaudern verbergen. Ein altes, unheimliches Geheimnis raubt ihr noch heute den Schlaf. Alma ist gedanklich kurz abgeschweift. Dennoch bemerkt sie etwas enttäuscht, dass ihre Gäste die Legende weder witzig, spannend noch geschmackvoll finden. Die Stadtführerin lässt sich aber nichts anmerken und erzählt die Pointe der Geschichte zu Ende: «So wurden die Berner damals in Solothurn von einem «Füdli» begrüsst.» Alma kann abermals keine Reaktion erkennen. Erst jetzt, als die Gruppe beim Stein angekommen ist, jetzt geht ein lautes Raunen durch die Gruppe und das Interesse ist geweckt. Allerdings nicht vor Begeisterung oder Belustigung. Nein, vielmehr weil sich die fünf Anwältinnen aus Zürich wundern. Da ist kein Stein. Keine Skulptur. Kein Füdli. Nur ein leicht angelehntes, offenes Gusseisentor. Und dahinter nichts. Der «Füdlistein» ist weg. Und Alma Müller blass.