Ferdinand Hodler

Ein Gemeinschaftskrimi | Teil 12

Ferdinand Hodler | Teil 12

Mittwoch, 08. April 2020

Autorin | Simone Leitner
Mitwirkende | Isabel Hunziker, Zuchwil | Hans Fischer, Lüterkofen | Susanne Im Hof, Grenchen | Mathieu Im Hof, Grenchen | Joëlle Harms

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Ferdinand Hodler 

Alma sitzt auf ihrem Sofa, blickt auf die Dächer der Solothurner Altstadt und hat schwere Gedanken. «Warum nur holt uns gerade jetzt diese schlimme Sache ein? Jetzt, wo wir doch beide ein ruhiges Leben haben.» Tränen kullern ihr über die Backen, sie leidet. Aber sie weiss auch, dass sie Kuno sehr viel zu verdanken hat. Einmal mehr holt sie der neue Klingelton ihres Handys aus ihren Gedanken.

«Kuno, du?» Studer tönt anders, viel unsicherer, viel weicher. «Weisst du, ich habe diesen Fall vor 40 Jahren einfach verdrängt. Schliesslich stand meine Karriere auf dem Spiel.» «Und mein Leben», haucht Alma kleinlaut ins Telefon. «Ja, genau.» Studer ist froh, dass Alma einigermassen gefasst reagiert. «Ich nehme an, dass du dieselben Vermutungen hast wie ich?» Almas Stimme ist wieder kraftvoller, sie gibt sich unverbindlich. Zu gross ist ihre Angst, dass der 40-jährige Fall wieder aufleben würde. Dass die Diebstähle von heute ihren Ursprung im Frühling 1980 haben könnten.

Vor vierzig Jahren war Alma selbst eine Gejagte. Mit grossem Eifer und der unbändigen Lust auf Abenteuer hatte sie mit drei weiteren Studentinnen «Das historische Quartett» gegründet. Die angehenden Historikerinnen wollten beweisen, wie schlecht die Kunstgegenstände in den Schweizer Museen gesichert waren. «Nur die Naivität beweisen», sagten die drei in anonymen Interviews in allen Schweizer Medien. Sie stahlen historische Exponate, versteckten diese gut eine bis zwei Wochen, um sie dann wieder an Ort und Stelle zurückzubringen. «Natürlich auch unbemerkt, das war uns wichtig», sagt Alma leise vor sich hin. So, als wolle sie sich beruhigen.

Auch in diesem Frühling 1980. Damals sollten die Selbstbildnisse von Ferdinand Hodler ihre Königsdisziplin werden. Dieser Bilderzyklus machte die Runde, war überall in der Presse und sollte auf dem Weg nach Berlin noch kurz Halt in Bern machen. Kuno Studer hatte zur gleichen Zeit als junger Kommissar eine Stellvertretung in Bern. Er verfolgte das Quartett nicht nur medial, sondern auch real, beobachtete sie, wollte die wahre Motivation dieser Diebstähle orten. Und konnte nicht verbergen, dass ihn die vier jungen Frauen faszinierten. «Vor allem eine ging Kuno nicht mehr aus dem Kopf.» Alma lächelt und erinnert sich, wie Studer ihr immer wieder begegnete, wie sie sich Botschaften zukommen liessen. «Was war das für ein aufregendes Spiel!»

Ferdinand Hodlers Bilder sollten dem Ganzen eine Ende setzen. Noch bevor «Das historische Quartett» die Selbstbildnisse wegtragen konnte, hat sie Studer überführt. Drei der Frauen konnten fliehen, Alma wurde festgenommen. «Ich wollte mich festnehmen lassen», sagte Alma damals zu Studer. Drei Monate lange waren sie ein Paar. Glücklich, wild und gefährlich. «Und dann kam der Tag, an dem alles …» Alma hat erneut Tränen in den Augen. Und Angst, dass nun alles auffliegen würde.

Wieder reisst sie der Klingelton aus ihren Gedanken. Doch dieses Mal ist es Tom Seiffert. «Alma, bitte komm schnell ins Büro, die Tourismuspreis-Jury hat sich kurzfristig angemeldet», sagt der Tourismusdirektor etwas aufgeregt. «Ich bin schon unterwegs, kein Problem.» Seiffert fällt ein Stein von Herzen und Alma trocknet sich die letzten Tränen ab. «Jetzt ist ganz grosse Showtime angesagt», motiviert sich Alma. Schliesslich steht nicht nur ihre, sondern auch die Zukunft von Solothurn und der 2000-Jahr-Feier auf dem Spiel.

Kurz vor dem Tourismusbüro klinget ihr Telefon. «Was, wer ist dran? Sie haben was? Die Tonscherbe? Wo?» Alma verabredet sich um 20 Uhr im Stadtpark.

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