Typisch Solothurn?

Ein Gemeinschaftskrimi | Teil 15

Der Krimi | Teil 15

Dienstag, 14. April 2020

Autor | Christof Gasser, erfolgreichster Krimiautor der Schweiz 

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Christof Gasser - Solothurn-Krimis
Christof Gasser, 59, Betriebsökonom ehemaliger Dozent für Strategisches Management Fachhochschule Nordwestschweiz, lebte und arbeitete während zwölf Jahren in Asien, heute selbstständiger Schriftsteller und Autor der schweizweit erfolgreichen «Solothurn»-Krimis.
Christof Gasser

Typisch Solothurn?

Kuno und Alma haben Jeffrey eingeweiht. Nun stehen sie zu dritt vor den Mauerresten des römischen Castrums ... und sind einigermassen ratlos.

«Ich packe das nicht ganz», sagt Jeffrey.

«Was packst du nicht», blafft Studer. Es nervt ihn offenbar, dass Jeffrey nicht den gleichen Enthusiasmus über den Fund an den Tag legt, wie er und Alma.

«Dass die Scherbe hier wieder auftaucht. Ich meine, was will diese Mona uns damit sagen? Und überhaupt …» Jeffrey verfällt ins Grübeln.

«Und überhaupt?», drängt Alma, bemüht, zwischen dem ungehaltenen Studer und seinem zurückhaltend kooperierenden Neffen zu vermitteln. «Wenn du schon nichts von unseren Theorien hältst, lass uns wenigstens an deinen teilhaben.»

Studer lässt ein zustimmendes Knurren vernehmen, was Jeffrey weniger beeindruckt als Almas Aufforderung, seine Gedanken laut auszusprechen. «Mona passt nicht in diese Geschichte.»

Es dauert eine Weile,  bis Alma und Studer diese Aussage verarbeitet haben. Alma fehlen die Worte, im Gegensatz zu Studer. «Wie Sie passt nicht? Sie war da und hat Alma bedroht, bevor sie wieder verschwand – und das zum zweiten Mal.»

«Zugegeben, für eine Tote ist sie ganz schön umtriebig. Aber gerade deshalb habe ich meine Zweifel». Jeffrey wendet sich an Alma. «Du bist sicher, dass es Mona war, die du vorhin vor dem Kunstmuseum getroffen hast?»

«Wie meinst du das?», sagt Alma irritiert. «Ich werde doch noch meine beste Freundin wiedererkennen.»

«Die du seit 40 Jahren nicht mehr gesehen hast, im Halbdunkel, im Park.»

«Es war Mona. Ich bin mir hundert Prozent sicher.» Alma verschränkt die Arme. Ihr Mund presst die Lippen zu einem schmalen trotzigen Strich zusammen. «Glaubst du, ich bin verrückt. Mona mag einiges älter sein, aber ihre Stimme und ihre Art zu sprechen sind unverwechselbar.»

«Führen deine wenig konstruktiven Bemerkungen irgendwohin, Jeff?», schaltet sich Studer ein. «Wie wäre es, wenn sich der Herr Journalist zur Abwechslung mal mit den Fakten befassen würde, als irgendwelche wilden Vermutungen heraus zu posaunen.»

Jeffrey verzieht keine Miene, sein Seufzer verliert sich im Inneren seines Bauchraumes. Wenn sein Onkel so drauf ist, führen streitbare Repliken zu nichts.  Er schüttelt zweimal den Kopf, als ob er das bereits Gesagte auf einem imaginären Bildschirm löschen will. «Nochmal von vorne: Drei Artefakte sind verschwunden: Der «Füdlistein» aus der Goldgasse, die Tonscherbe aus dem Blumenstein und der Kosciuszko aus dem Stadtpark.»

«Soweit sind wir uns einig», murmelt Studer knapp hörbar.

«Gut, und eure Freundin, diese Mona –»

«Sie ist nicht meine Freundin», ruft Studer dazwischen.

Jeffrey fährt unbeirrt fort. «Was auch immer. Ich frage mich Folgendes: Wenn sich Mona an Alma rächen will, weil sie damals in Bern von ihr im Stich gelassen wurde, weshalb lässt sie den Kosciuszko verschwinden?»

«Weshalb nicht?», fragte Alma. «Sie will mir als Stadtführerin schaden und trifft damit die Stadt.»

«Gut und schön, aber der Kosciuszko passt da nicht hinein.»

«Wie, er passt nicht hinein?»

«Er hat nichts mit Solothurn zu tun, ausser dass er ein paar Jahre hier gelebt hat, irgendwann zwischen 1814 bis zu seinem Tod 1817.»

«Ich bitte dich, immerhin war ein Kämpfer für die Freiheit der Menschen, nicht nur in seiner Heimat, auch im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. Das passt doch zur freiheitlichen Tradition der Schweiz. Ausserdem wurde er vom Solothurner Peter Josef Zeltner nach Solothurn eingeladen, einem Vorkämpfer für die neue Ordnung nach dem Einmarsch der Franzosen und dem Zusammenbruch des Ancien Regime. Und immerhin war Zeltner als Solothurner der erste helvetische Gesandte in Frankreich.»

Jeffrey will etwas einwenden, doch Alma redet sich gerade warm. «Der liberale Zeltner und der Freiheitskämpfer Kosciuszko waren Symbole der neuen, freiheitlichen Schweiz.»

Jeffrey macht einen neuen Versuch, aber Alma verhinderte es,  indem sie mit vorgestrecktem Zeigefinger und stechendem Blick einen Schritt auf ihn zumacht. «Und von wegen nichts mit Solothurn zu tun zu haben: Wusstest du, dass der Amthausplatz, bevor er seinen heutigen Namen erhielt, Kosciuszko-Platz hiess?»

«Ups», sagt Jeffrey baff. «Das wusste ich nicht.»

«Dachte ich mir, ist aber so, zwar nicht sehr lange, nämlich nur von 1867 bis 1869, aber immerhin.»

«Okay.» Jeffrey nickt anerkennend, bevor er seinen Kopf erneut zum Einspruch erhebt. «Trotzdem, mir ist das immer noch nicht klar. Was hat das mit Solothurn zu tun?»

Alma starrt ihn fassungslos an, und Studer verwirft die Hände.

«Sie hat es dir doch grade erklärt –», sagt Studer. «Es ging um den Freiheitskampf, um –»

Alma unterbricht den alten Kommissar mit erhobener Hand. Sie ist nachdenklich geworden. «Ich glaube, ich weiss, was Jeffrey meint. Kosziusko war ein Symbol für die neue liberale Schweiz.  Das schliesst Solothurn mit ein, aber …»

Jeffrey nimmt den Faden auf. «… er ist nicht typisch für Solothurn. Der «Füdlistein» und die Tonscherbe hingegen sind Artefakte, die nur für Solothurn und seinen Charakter stehen. Die Tonscherbe für die Entstehung und der «Füdlistein» für die Eigensinnigkeit der Solothurner.»

«Und was heisst das jetzt?», sagt Studer mit müder Stimme.

Alma umarmt Jeffrey und drückt ihm einen Schmatzer auf die Wange. «Du bist grossartig, Jeff. Das Mona die Scherbe und «Füdlistein» verschwinden lässt, macht Sinn, wenn sie mir und durch mich der Stadt schaden. Aber der Kosciuszko …»

«… geht auf das Konto von Anderen», sagt Studer, der die Erleuchtung endlich gefunden zu haben scheint. «Es hat noch jemand seine Finger im Spiel. Fragt sich nur wer?»

Die drei sind dermassen in ihr Gespräch vertieft, dass sie nicht auf ihre Umgebung achten.

«Vielleicht kann ich helfen?»

Alma, Studer und Jeffrey fahren herum und starren direkt in Monas Gesicht. Die Verblüffung wird von Schock abgelöst, als sie die Pistole in ihrer Hand erblicken. 

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