Verschwörungstheorien

Ein Gemeinschaftskrimi | Teil 16

Verschwörungstheorien | Teil 16

Mittwoch, 15. April 2020

Autorin | Simone Leitner
Mitwirkende | Isabel Hunziker, Zuchwil | Claudia Sollberger, Halten | Hans Fischer, Lüterkofen | Christine Künzler, Schüpfen | Susanne Im Hof, Grenchen | Mathieu Im Hof, Grenchen | Joëlle Harms, Selzach

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Verschwörungstheorien

«Weg mit der Waffe!» Alma ist die Erste, die sich vom Schock erholt und macht einen Schritt auf Mona zu. «Was soll das Mona? Was hat dich so verletzt oder traumatisiert, dass du nach 40 Jahren hier mit einer Waffe auftauchst und mich bedrohst?» Alma, Studer und Jeff schauen sich fassungslos an. «Waffe runter!» Studer geht zwischen die beiden Frauen, nimmt Mona die Waffe aus den Händen und schüttelt den Kopf. Mona grinst schelmisch, macht einen Schritt zurück und setzt sich auf einen Stein. «Was willst Du?», fragt Alma wieder und wieder. «Aufmerksamkeit? Geld?» Mona winkt ab. «Gerechtigkeit!». 

Studer, Alma und Jeffrey setzen sich zu Mona, schweigen und schauen lange in die Ferne. Bis Studer ihr Schweigen unterbricht. «Damals in Bern was ist da vorgefallen? Bist du an diesem Abend zu weit gegangen und konntest nicht mehr zurück?» «Oder wurdest du gefangen gehalten?» Keine Antwort. Die Stimmung bleibt angespannt. Studers Gedanken drehen sich im Kreis. Wollte sie Alma glauben machen, sie sei tot, um sie für das, was in Bern passiert ist, zu bestrafen? «Bitte sprich mit uns, wir haben jahrelang nach dir gesucht, haben unzählige Male diese schreckliche Nacht in Bern Punkt für Punkt durchgespielt, haben tagelang an der Stelle bei der Lorrainebrücke ausgeharrt … und kamen immer und immer wieder zum Schluss, dass du lebst. Nur wo?» Mona schaut starr in eine Richtung, zeigt einen Anflug von Schwäche und sagt: «Ich war immer bei euch.» 

Damals kursierten wilde Verschwörungstheorien in der Szene. Mona habe sich in Deutschland einer späten Gruppierung der RAF angeschlossen, sich während einer Gerichtsverhandlung in den Strafverteidiger und Vater eines Kollegen verliebt, ihn geheiratet und sei nun Erbin einer deutschen Warenhauskette. Die andere Geschichte gefiel Alma besser: Mona lebe in Kalifornien, sei eine der Assistentinnen von George Lucas und habe an den Star Wars Filmen mitgeschrieben. Studer glaubt weder an Verschwörungstheorien noch an das ganz grosse, blutige Drama damals in dieser Nacht. Er ist bis heute überzeugt, dass Mona weder traumatisiert noch verletzt war, sondern einfach genug von dieser hektischen Zeit, dieser ständigen Flucht und Spannung hatte. Und sich zurückzog. Sie war bekannt für ihre spektakulären Fluchtaktionen. Studer tippte immer auf Goa oder Ibiza.

«Wo warst du wirklich? Nachdem die Hodler-Bilder wieder zurückgebracht und Kuno und ich ans Aareufer gerufen wurden, als sich die Ereignisse überschlugen … Wo bist du hin?» Alma ist müde, all die Jahre voller Schuldgefühle sind nicht spurlos an ihr vorbeigegangen.

Nun mischt sich Jeffrey ein. Er, der in dieser Nacht nicht dabei, ja noch nicht einmal geboren war, bringt es auf den Punkt: «Mir ist egal, wo du warst, wen du geheiratet hast und ob du verdammt noch mal meine Lieblingsfilme mitgeschrieben hast! Ich will schlicht und einfach wissen, warum du unsere historischen Schätze zerstörst?»

Mona schaut Jeffrey triumphierend an. «Habt ihr wirklich das Gefühl, ich hätte diesen Stein, diese Skulptur und diese Scherbe geklaut und dann in irgend einem eurer so hoch gelobten Gewölbe versteckt?» Mona redet sich in Rage. «Habt ihr wirklich das Gefühl, ich sei so banal, verzweifelt und unkreativ?» «Was willst Du?» Fragt nun auch Studer sichtlich genervt. «Euch ein Tauschgeschäft vorschlagen: Alle Einnahmen der 2000-Jahre-Feier und ich verhindere Schlimmeres. Und ich will die Festrede halten! Ich kenne Solothurn besser, als ihr euch jemals vorstellen könnt.»

«Kommt, wir gehen in die Bar der La Couronne», schlägt Jeffrey vor. Alle vier gehen wortlos in Richtung Hauptgasse. Jeff bleibt stehen, hält Mona am Arm fest. «Aber die Facebook-Einträge, die gehen auf dein Konto … ganz dein Stil, dieses autonome Getue mit dem Unspunnenstein und dem ganzen Gedöns!»

«Du bist ein smarter Kerl, mein Kleiner.» Für Jeffrey tönen die Worte von Mona aber als eine Beleidigung. Jeffery hat recht.

Alma sitzt an der Bar, nicht wie üblich mit einem Glas Chardonnay Domaine du Soleure, sondern mit einem hochprozentigem Marc. Ihr gegenüber Jeffrey, der an einem Öufi-Bier nippt und Studer mit den Worten «ich bin im Dienst» einen Espresso trinkt. Mona, die keine andere Wahl hatte als mit den anderen mitzugehen, begnügt sich mit einem Glas Wasser. 

Sie beobachtet die Szene aus Distanz, wie sie das seit Jahrzehnten tut. Mona ist dem Trio immer einen Schritt voraus, spielt seit 40 Jahren falsch. «Führt sie nun Regie?»

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