Zu viele lose Enden

Ein Gemeinschaftskrimi | Teil 20

Der Krimi | Teil 20

Montag, 20. April 2020

Autor | Hansjörg Boll, Stadtschreiber der Stadt Solothurn 

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Hansjörg Boll, Stadtschreiber der Stadt Solothurn
Hansjörg Boll, 63, ist seit Anfang 2004 Stadtschreiber in Solothurn und in dieser Funktion verantwortlich für die Feierlichkeiten zum 2000-Jahre-Jubiläum der Stadt. Der Ökonom war zuvor in verschiedenen Funktionen im Bankwesen auf dem Platz Solothurn tätig.
Hansjörg Boll

Zu viele lose Enden

Nach seinem Interviewtermin bei von Burg tritt Seiffert gut gelaunt auf die Hauptgasse und entschliesst sich zu einem Abendspaziergang. Es bleibt ihm noch etwas Zeit. Vorbei an der St. Ursen-Kathedrale schlendert er über den Zeughausplatz. Er staunt immer wieder über den mächtigen Bau des Alten Zeughauses, das wie die Kathedrale etwas zu gross für die kleine Stadt ist. Touristisch gesehen zum Glück! Das Museum Altes Zeughaus ist für den «European Museum of the Year Award 2020», den wichtigsten Preis der Museumsbranche, nominiert. Er wird jährlich vom «European Museum Forum» an Museen vergeben, die innerhalb der letzten drei Jahre neu eröffnet oder signifikant erneuert worden sind. Sollte das Alte Zeughaus diesen Preis Anfang Mai erhalten, könnte Solothurn dieses Jahr neben dem Tourismus Award noch einen zweiten grossen Preis gewinnen.

Er schlendert durch den Stadtpark, vorbei an den Blumensträussen, an der Stelle, wo eigentlich die Kościuszko-Statue stehen sollte, dann am Muttiturm vorbei und über den Stalden zurück in die Hauptgasse. Als er in der Goldgasse den leeren Platz des «Füdlisteins» betrachtet, lächelt er zufrieden, spielt mit der Fussspitze mit einem losen Bsetzistein und freut sich. «Die Idee mit dem Krimi-Trail war einfach super!». Dann geht er zügig weiter, schliesslich hat er noch eine Verabredung. 

Jeffrey findet keine Ruhe, was nicht nur an den zu vielen Espressi und dem Schlag auf den Hinterkopf liegt. Er wälzt zu viele Gedanken. Wäre Mona nicht so unvermittelt in dieser Geschichte aufgetaucht, er wäre immer noch der Meinung, dass die Entführung von Kościuszko nicht zu der verschwundenen Tonscherbe und zum fehlenden «Füdlistein» passt. Während er der Sonne zusieht, wie sie langsam hinter der Jurakette verschwindet, glaubt er sich plötzlich an etwas zu erinnern, das mit der Skulptur von Kościuszko und mit der Geschichte, wie sie nach Solothurn kam, zu tun hat. Vielleicht gibt es hinter diesem Versteckspiel in Solothurn eine weit grössere Geschichte als das Jubiläum der Stadt?

Zurück an seinem Arbeitsplatz findet er die Medienmitteilung aus dem Jahr 2017: Tadeusz Kościuszko wurde 1746 in Mereczowszczyzna geboren. Da diese Ortschaft damals zwar zu Polen-Litauen gehörte, heute jedoch in Weissrussland liegt, verehren auch die Weissrussen Kościuszko als ihren Nationalhelden. Aus diesem Grund schenkte die Belarussische Vereinigung in der Schweiz der Stadt Solothurn diese Statue zur Erinnerung an den Freiheitshelden. Jeffrey glaubt sich zu erinnern, dass dies damals zu diplomatischen Verstrickungen führte, weil sich nicht alle Polen über den «Heldendiebstahl» freuten. Und jetzt wurde er wieder gestohlen und, noch schlimmer, sein Kopf vom Körper getrennt. Auch wenn eine solche Geschichte mit politischen Verstrickungen sicher eine schöne Story für Jeffrey gegeben hätte, sie passte einfach nicht zu Mona und auch nicht zu den Ereignissen des heutigen Tages. Denn weder hätte es einen Grund gegeben, ihn wegen des vorgesehenen Facebook-Eintrags zum «Füdlistein» niederzuschlagen, noch sieht er einen Zusammenhang zur Mitteilung auf seinem Bildschirm, dass er seit 15 Jahren unter Beobachtung stehe.

Er beschliesst das Ganze zu vergessen und versucht Doris in Interlaken anzurufen. Vergeblich. Weder unter ihrer Handynummer noch im Büro wird der Anruf beantwortet. Lustlos durchsucht er das Zeitungsarchiv, speziell die Berichte aus dem Stadtressort. Und plötzlich ist er wieder hellwach. Eine Mitteilung von Stadtschreiber Huber aus dem Jahr 2016 eröffnet völlig neue Perspektiven: «Bei Leitungsarbeiten stiess man am Dienstag auf ein unterirdisches Gewölbe vor dem Baseltor. Nach erster Einschätzung der Denkmalpflege dürfte es sich um ein Reservoir aus oder nach der Zeit des Schanzenbaus im 17. Jahrhundert handeln.» Der Fund des Gewölbes von gut 25 Metern Länge war damals eine Sensation. Aus Kostengründen wurde es nicht touristisch nutzbar gemacht, sondern nach der Inventarisierung wieder verschlossen – mindestens vorläufig, wie damals bekannt gegeben wurde. Ja, dachte Jeffrey, dort würde ich den «Füdlistein» verstecken. Er entscheidet sich, diese Vermutung vorerst für sich zu behalten und sie erst morgen mit Alma und Kuno zu teilen.

Etwa gleichzeitig wie Jeffrey sein Büro verliess auch Kommissar Studer nochmals seine Wohnung. Er hatte mit Alma deren Angebot an Seiffert, ihm einen umwerfenden Text für die Festrede zu liefern, diskutiert, ohne dass sie wesentlich weitergekommen wären. An Schlaf war nicht zu denken, obwohl es gegen Mitternacht ging. Beim Überqueren der Wengibrücke sah Studer Tom Seiffert am Landhausquai in Begleitung einer Dame. Es war allerding zu dunkel, um die Person erkennen zu können. Doch Studer hätte schwören können, dass es Mona war.

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